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Der Glaube an die Qualität

Judith Winter • Juni 24, 2021

Warum Selbstoptimierung kein Allheilmittel ist

Wir Deutschen sind ein Volk der (Selbst-) Optimierer. Unser Blick ist kritisch, unser Urteil hart und klar. Wir geben Noten, füllen Leistungsbeurteilungen aus und scheuen uns nicht davor, Stellung zu beziehen und Misstände in aller Öffentlichkeit und ohne Rücksicht auf Verluste beim Namen zu nennen.

Kein Wunder also, dass man keinen einfachen Stand hat, wenn die ganze Nation auf einen schaut und erwartet, dass man brilliert. Bestes Beispiel ist die aktuell laufende Europameisterschaft. Ich gebe zu - ich bin kein großer Fußballfan. Aber wenn Deutschland spielt, dann sitze ich vor dem Fernseher, schwenke ein deutsches Fähnchen und kommentiere alles, was passiert. Mit diesem Verhalten habe ich schon den einen oder anderen "Mitzuschauer" neben mir in den Wahnsinn getrieben und ganz unter uns: Diesen Nebeneffekt liebe ich fast mehr als alles andere. Irgendwie muss man ja glücklich werden, wenn man 22 Millionären zuschaut, wie sie alle hinter einem Ball herrennen - obwohl sich auch jeder einen eigenen Ball kaufen könnte!

Aber ich schweife ab. Deutschland gegen Frankreich - wir haben verloren und schauten recht pessimistisch in die Zukunft. Portugal als Gegner war eine Herausforderung, und wir wussten ganz genau, wo die Baustellen in unserer Mannschaft waren. "Naja, vielleicht schaffen sie es ja doch irgendwie", haben wir uns gedacht und harrten der Dinge, die da kommen. In den Minuten vor dem Spiel gab es wie immer eine Diskussionsrunde, und einer der geladenen Gäste war völlig utypisch für uns Deutsche unterwegs. Er sagte: "Wir haben einen guten Kader. Wir müssen an unsere Qualität glauben!". Er zog den Vergleich zur italienischen Mannschaft, die sich bei der letzten Weltmeisterschaft nach 60 Jahren kontinuierlicher Teilnahme nicht einmal qualifizieren konnte. Was muss das für ein Schock für diese Fußballernation gewesen sein! Man könnte meinen, dass sie nun selbstkritisch, ein bisschen demütig und zurückhaltend in die EURO 2020 starten würden, aber weit gefehlt! Die italienische Presse bejubelt ihre Mannschaft, die Fans stehen in den Startlöchern und die gesamte Nation bringt uneingeschränktes Vertrauen in eine siegreiche Teilnahme mit!

Gestern gab es ein Unentschieden gegen Ungarn und wir haben es als Gruppenzweite ins Achtelfinale geschafft. "Mit Ach und Krach, viel Glück und großen Baustellen" könnte man sagen. Oder man sagt: "Wahnsinn, wir sind im Achtelfinale! Noch vier Spiele und wir haben mal wieder gewonnen!"

Schon beim Schreiben kommen mir diese Worte schwer über die Finger. Typisch Deutsche eben. Aber was tun wir uns eigentlich alles damit an, wenn wir immer so selbstkritisch und Bedacht auf Optimierung durchs Leben gehen?

Anfang des Jahres saß ich bei meiner Supervisorin Annegret. Mit dabei hatte ich einen mühsam erarbeiteten Plan voller Ziele, die ich in 2021 erreichen wollte. Es ging um Gesundheit, Strategien/Unternehmensziele, Finanzen, sogar das Thema Partnersuche hatte ich durchgeplant. Alles Dinge, die mein Leben voranbringen, mir helfen mich weiterzuentwickeln um (noch!) besser zu werden. Ich habe ihr die Punkte vorgestellt. Als ich fertig war habe ich sie angeschaut und ihr gesagt: "Das habe ich vor. Das bringt mich weiter. Aber ich habe jetzt schon keine Lust mehr auf dieses Jahr, woher soll ich die Kraft nehmen, das alles zu erreichen?" Annegret wäre nicht Annegret, wenn sie keine hilfreiche Antwort hätte. "Wenn ich diese Liste hätte, hätte ich auch keine Kraft sie umzusetzen. Das klingt alles total nach Pflicht, nach Optimierung und Langeweile. Wie wäre es mit Zielen, die dir Freude machen?" Ich war sprachlos. Keine Selbstoptimierung? Kein kritischer Blick? Kein Vorwärtsstreben? Sondern etwas, was mir "Spaß" macht? Ich muss zugeben, der Spaßfaktor rückte bei mir in den letzten Jahren immer mehr in den Hintergrund. Er wurde verdrängt von einer herausfordernden Unternehmensgründung und der Bewältigung von Auswirkungen einer weltweiten Pandemie. Kein Wunder, dass mein Leben manchmal einfach schwer, langweilig und zum Davonlaufen ist!

Annegret und ich haben uns also Gedanken gemacht, was mir denn eigentlich Spaß macht. Überraschung  - in dieser Coachingsitzung ist dieser Blog geboren! Ich schreibe unglaublich gerne, ich möchte meine Leser dazu anregen über den Tellerrand zu blicken und das AußerGewöhnliche im Alltag zu finden. Der Blog tut mir auch selber gut, ich denke über mein Leben nach, ordne Gedanken und schaffe so meiner Seele Weite. Und nicht zuletzt erhöht sich der Traffic auf unserer Seite und vielleicht begeistert sich ja der eine oder andere Leser für AußerGewöhnlich und kommt zu uns - egal ob als KundIn oder vielleicht auch als MitarbeiterIn! Persönlich und unternehmerisch ist dieser Blog ein WinWin - und es macht auch noch richtig viel Spaß!
 
Und das ist das Erstaunliche, wenn man weg von der Selbstoptimierung hin zu den eigenen Bedürfnissen geht: Ich lerne mich zu achten - nicht, mich zu verdammen. Ich sehe die Möglichkeiten - nicht die Pflicht. Ich für meinen Teil bin noch immer viel zu sehr im Bereich der Selbstoptimierung unterwegs und stelle meine Bedürfnisse hinten an. Darum bin ich so froh, gute Freunde oder jemanden wie Annegret zu haben: Der Blick von außen hilft manchmal ungemein, um einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Oder man nimmt seinen Mut zusammen, geht in die Stille und setzt sich mit sich selbst auseinander. Lernt, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Goethe hat in den Leiden des jungen Werthers mal geschrieben: "Ich ziehe mich in mich selbst zurück und entdecke eine Welt." Wir sind soviel mehr als ToDo Listen, Pflichten, Erwartungen, Verbesserungen. Tief in uns tragen wir alle das Potential ein Leben zu führen, das unserer Seele Freiraum schenkt und gleichzeitig Zufriedenheit, Glück und vielleicht auch "weltlichen" Erfolg beschert.

Ich für meinen Teil werde mir heute Abend nochmal Gedanken machen, was mir für den Sommer wichtig ist, der nun vor uns liegt. Für die Arbeits- aber auch für die Urlaubstage. Was brauche ich? Was macht mir Spaß? Was wünsche ich mir? Und: Wie kann ich es in meinen Alltag einbauen? Damit ich dann im Herbst nicht dasitze und mir denke "So ein Mist - jetzt ist der Sommer schon wieder rum und eigentlich habe ich ihn verpasst." Denn eines ist klar: Wenn wir es nicht mal schaffen den Sommer so zu planen, dass wir im Einklang mit uns selbst unseren Alltag gestalten - wie soll es dann mit unserem Leben klappen? Und ich will nicht irgendwann dasitzen und mir denken: "Jetzt ist mein Leben rum, und eigentlich hatte ich noch so viel vor, was mir Freude gemacht hätte." Lasst uns unser Leben leben. Und zwar heute schon.

Ich wünsche dir dabei viele wunderbare Augenblicke und bin gespannt, was Großartiges sich daraus entwickeln wird!
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